Dietrich Strothmann: “Unter dem Fallbeil der Zeit”, ZEIT Nr. 2

Als Betroffener, durch Ermordung meiner Freunde und Verurteilung des Volksgerichtshofes, möchte ich Ihnen mitteilen, daß der Artikel alles das zum Ausdruck bringt, was ich mich seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland in einem fast ohnmächtigen Zorn bemühe, innerlich zu verarbeiten.

Schließlich habe ich in der NS-Zeit im vollen Bewußtsein und Kenntnis der möglichen Folge mein Leben für die Wiedererrichtung einer freiheitlichen deutschen Republik, eingesetzt. So kann ich nicht einfach zusehen, daß diejenigen, die mit ihrem grenzenlosen Terror die verbrecherische Politik des NS-Regimes zum Untergang des Deutschen Reiches unterstützt haben, zum Teil wieder in Amt und Würden als Beamte zurückkehrten oder in gemächlicher Ruhe ihre Pensionen verzehren.

Wir haben damals wie heute nie an Rache gedacht, aber doch zumindest erwartet, daß sich ein freier deutscher Staat und seine Justiz klar und sauber von diesen Elementen scheiden und die wirklich notwendigen Sühnemaßnahmen mit unbestechlicher Gerechtigkeit durchführen würden.

Worum es mir heute zumeist geht, ist, daß in unserem Rechtsdenken wie in unserem Richterstand eine Besinnung einsetzt, die endlich begreift, daß auch Gesetze verbrecherisch sein können und die Anwendung eines verbrecherischen Gesetzes auch durch einen Richter unentschuldbar und daher strafbar sein muß, geschweige denn eine Entschuldigung und Ausrede genießen darf.

Ich vermag schließlich auch nicht die Berechtigung eines Unterschiedes im Verhalten unserer Justiz bei der Verurteilung unserer jungen Terroristen von heute und der Strafverfolgung ungleich schwererer Verbrechen schuldigen Terroristen des Volksgerichtshofes einzusehen.

Auch hier glaube ich berechtigt zu sein zu sprechen, denn ich verwahre noch heute in meinem Schreibtisch das Flugblatt, mit dem der “Schwarze September” anläßlich des Diplomatenmordes in Khartoum 1973 – sich meiner Gefangennahme als Geisel sicher glaubend – mein Leben gegen die Befreiung der Baader-Meinhoff-Gruppe anbot. Daß ich durch einen glücklichen Zufall dem Anschlag entkam, läßt nicht übersehen, daß ich andernfalls das Schicksal meiner ermordeten Kollegen hätte teilen müssen.

Trotzdem glaube ich, daß es für die Bundesregierung angemessener und würdiger wäre,zur Versöhnung der Gegensätze in unserem Volke eine mögliche Begnadigung und Re-Integrierung unserer jungen Terroristen, die ihr Leben noch vor sich haben, zu erwägen, als sich um? die Freilassung des noch mit viel schwererer Schuld beladenen alten Verbrechers in Spandau zu bemühen.

Dr. Michael Jovy (Botschafter der Bundesrepublik Deutschland), Bukarest

Dietrich Strothmann erwähnt in seinem Bericht, daß keineswegs jeder, der die Ausführung eines Unrechtsbefehls zur Zeit der Hitlerdiktatur verweigerte, umgehend vor ein Erschießungskommando gestellt wurde. Er nennt als Beispiele den SS-Mann im KZ und den Richter am Volksgerichtshof. Es ist auch meine Meinung, daß die vielen Berufungen auf einen vermeintlichen “Befehlsnotstand” in zahlreichen Fällen nicht gerechtfertigt sind.

Ein Beispiel aus eigener Erinnerung: Im Sommer 1944 hatte ich, damals zwanzigjähriger Fahnenjunker-Unteroffizier, als Zugführer einen Oberfeldwebel, der voller Ehrgeiz und ständig auf der Jagd nach Auszeichnungen war. Auf dem Rückzug vor den übermächtigen russischen Angriffen hatten wir in der Dämmerung eines Waldes die weiteren Absetzbewegungen besprochen. Da machte uns ein Stöhnen auf einen in der Nähe liegenden verwundeten russischen Soldaten aufmerksam. Ihm zu helfen oder gar ihn mitzunehmen war nicht möglich, wir mußten selbst unsere eigenen Verwundeten zurücklassen. Mit dem Argument, viele Russen könnten deutsch, und wenn wir abzögen, könnte jener Verwundete den nachrückenden russischen Truppen unsere Rückzugspläne verraten und uns dadurch gefährden, befahl mir der Oberfeldwebel, den Soldaten zu erschießen. Auf meine Weigerung hin drohte er mir mit dem Kriegsgericht. Ich erwiderte ihm, daß in einem Kriegsgerichtsverfahren nicht ich, sondern er der Angeklagte sein werde, weil er ja genau so gut wie ich wisse, daß es jedwedem Kriegsrecht widerspräche, einen Verwundeten zu töten. Er hat mich dann zwar in Ruhe gelassen, aber der arme Kerl mußte trotzdem sterben, irgend jemand fand sich doch, diese Scheußlichkeit auszuführen. Ich bin sicher, daß ein wenig Zivilcourage, manchmal in ganz untergeordneten Dingen, einiges dazu hätte beitragen können, Unrecht zu vermeiden oder gar Verbrechen zu verhindern. So glaube ich auch, daß zum Beispiel die Angehörigen jener Einheiten, die das Massaker von Oradour auszuführen hatten, ohne Gefahr für ihr eigenes Leben die Beteiligung an dieser Schandtat hätten verweigern können.

Lothar Merkelbach, Tübingen

Ein Trauerstück ist das Selbstreinigungsversagen der Jusitz. Es war jedoch vorprogrammiert. Denn bis in die 60er Jahre war die Jusitz gut besetzt mit Richtern (und Staatsanwälten), die – von den Vorzeige- und Alibiexemplaren mit unbelasteter Vergangenheit abgesehen – auf Adolf Hitler (durchaus kein “Betriebsunfall” unserer Geschichte) den ewigen Treueeid geschworen hatten. Nur die Gesetze der Biologie haben dann für die personelle Entsorgung gesorgt. Bis dahin hatten jene jedoch viele entscheidende Positionen in den Rechtsprechungs- und Justizverwaltungsorganen inne. Sie waren keine Nazis mehr, aber deutscher Juristentradition gemäß rechtskonservativ und zum Teil schlicht vordemokratisch. Mit dem Munde haben sie den demokratischen Rechtsstaat zelebriert, im Herzen sich ohne schlechtes Gewissen nach dem Obrigkeitsstaat gesehnt. Entscheidend ist aber, daß sie unserer Justiz jenen Charakter verliehen haben, der dann zu diesem unfaßbaren Rehse-Urteil und zum Beispiel zu den Nürnberger Massenverhaftungen führen mußte. Und so ist die heutige Justiz, von ihrer tönernen demokratischen Selbstdarstellung abgesehen, in ihrem Inneren überwiegend autoritär-hierarchisch orientiert, jedenfalls was die höheren Chargen betrifft. Das ist gleichzeitig das große Tabu dieser Justiz.

Gewiß, es gibt auch liberale Richter. Sie bilden aber eine Minderheit und können sich in der stark obrigkeitsstaatlich strukturierten Justiz nicht durchsetzen. Beängstigend ist die ausgeprägte Neigung vieler Richter, sich betriebsintern stets “nach oben” anzupassen. Über allen thront zudem eine machtbewußte, rechts-konservative Justizverwaltung, die mit subtilen Methoden den Richtern systematisch die totale Anpassung aufoktroyieren will. Ihr Zuchtmittel: Wer sich nicht anpaßt, wird nicht befördert.

Frank Fahsel (Richter am Landgericht),

Stuttgart

Ob ein solches Märchen unseren Kindern gefallen würde? – Es waren einmal Mörder im Talar, die nach ihrem Auftrag und Selbstverständnis nicht Recht sprechen, sondern die Gegner des Regimes vernichten wollten und sollten, als solche aber vor allem die Anhänger jener freiheitlichen Demokratie, für die sich heute jeder Beamte, Lokomotivführer und Richter aktiv einzusetzen hat. Zwar gilt noch immer, daß für das Überhandnehmen eines Übels verantwortlich ist, wer ihm nicht widersteht. Doch die Mörder sind unter uns (geblieben). Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute gut von den Pensionen, die ihnen dankbar jene Gegner ihres einstigen Regimes zahlen, die sie übrigließen.

Erfreulich, so etwas im deutschen Blätterwald zu finden, zugleich natürlich vom Ergebnis her deprimierend. Ich habe während meiner Ausbildung zum Juristen noch Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre diese Herren kennengelernt, die immer recht hatten, vor dem Krieg, während des Krieges und nach dem Krieg. Sie sind nach 1945 auf Grund ihrer “Erfahrungen” und Dienstjahre sehr schnell in die Führungspositionen aufgestiegen. Überhaupt hat mich, solange ich Insider war, das enorme Selbstbewußtsein der meisten dieser Juristen schockiert, die im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen gegangen sind. “Zorn bleibt und Trauer schreibt Dietrich Strothmann. Ich habe manchmal den Eindruck, daß heute vielerorts das gleiche Juristen-Kroppzeug wieder nachwächst.

Dr. jur. Wolfgang Bittner, Göttingen

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Sie prangern die verbrecherischen Methoden des sogenannten Volksgerichtshofes und die Praxis bundesdeutscher Gerichtsauffassung an, daß dieser ein “unabhängiges, nur dem Gesetz unterworfenes Gericht” gewesen sei. Mit Recht!

Trifft aber die von Ihnen für die deutschen Richter behauptete These, eine Krähe hacke der anderen kein Auge aus, nicht auch für die deutsche Presse zu?

Wie wurden denn, wenn es dazu kam, in der nationalsozialistischen Presse die sogenannten Kriegsverbrecher behandelt? Ich erinnere mich noch gut der geifernden Beschimpfungen armer, wehrloser Opfer als “Verbrecher, Feiglinge, Lumpen, Wehrkraftzersetzer” und ähnlicher Ausdrücke. Es folgte dann noch die lapidare Forderung: “Rübe ab!” Ein unsäglich inferiorer, infamer und verlogener Zeitungsstil.

Wo sind diese Schreiber heute? Wann wurden sie zur Rechenschaft gezogen? Man las und liest darüber in der heutigen deutschen Presse so gut wie nichts. Konnten diese Journalisten damals nicht auch, wie Sie es von den Richtern nachträglich verlangen, von der täglichen Beschimpfung Andersdenkender und dem täglichen Volksbetrug ablassen, und sich ohne Gefahr für Leib und Leben eine andere Arbeit suchen?

Hubert Schuster, Köln

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Die fachliche Juristenqualifikation schützte nicht vor perverser Rechtsauslegung und Unterwerfung unter ein Unrechtssystem. Es ist beinahe fatal, aber namentlich Musterschüler der juristischen Denkschule sind vor allem imstande, den Rechtsbruch auch noch logisch zu begründen. Und hier läßt sich gut die auf Erfahrung beruhende Brücke zum Heute schlagen. Wiederum ist in politischen Prozessen festzustellen, daß das Feindbild von 1945 bis in die jüngste Zeit dem von Weimar und des Dritten Reiches gelegentlich durchaus ähnelt und jetzt eine neue Variante erfahren hat, indem man den Wir derstand gegen Umweltzerstörungen gigantischen Ausmaßes kriminalisiert und bricht. Man braucht doch genauso wenig wie im Fall des Dritten Reiches nicht erst geschichtlichen Abstand und Überblick zu bekommen, um über Recht und Unrecht, in dieser Problematik urteilen zu können! Die Rechtsprechung ist auf dem besten Wege, sich erneut schuldig zu machen.

Wolfgang Wawrzyniak,

Bad Soden/Altenhain

Die Rechtsentwicklung im Dritten Reich kann nicht losgelöst von politischen und gesellschaftlichen Vorgängen betrachtet werden. Geschichtliche Realität ist, daß der Stand der Juristen schon der Demokratie von Weimar die Loyalität versagte, die sie dem Kaiserreich zuweilen bis zur Unterwürfigkeit gewährt hatte. Vor allem politische Urteile belegen Abscheu und Widerstand gegen die Republik. Waren die Richter im Kaiserreich noch Vollstrecker von Herrschaftsinteressen, ja Herrschaftsinstrument, so versagten sie der ungeliebten Republik den strafrechtlichen Schutz.

Was die Zeit von 1933 bis 1945 angeht, so scheint es treffender, nicht von Recht, sondern Rechtsperversion zu sprechen. Hitler ließ da schon in seinem Buch “Mein Kampf” und auch später in Regierungserklärungen keinen Zweifel an seiner Rechtsauffassung aufkommen: “Die Regierung soll mit brutaler Rücksichtslosigkeit ihre als rechtlich erkannten Ideen durchdrücken, …” (Regierungserklärung vom 23. 3. 1933).