Gewalt gegen Mütter im Gerichtssaal
Ein Hinweis vorab:
Wir wissen, dass es – zum Glück – viele fähige Familienrichter*innen, Jugendamtsmitarbeiter*innen, Verfahrensbeistände und Gutachter*innen gibt, die sehr engagiert ihre Arbeit machen und sich selbst regelmäßig um qualitative Fortbildungen auch zum Themenkomplex familiäre/häusliche Gewalt/sexuelle Gewalt gegen Kinder kümmern.
Leider gibt es auch jene, die diese Kriterien bisher nicht (ausreichend) erfüllen, sowie weitere Ursachen und Gründe, die zu Situationen wie den hier beschriebenen führen: gesetzliche, strukturelle, Ressourcen etc.
Von Gewalt betroffenen Müttern wird via Institutionen fortgesetzt Gewalt angetan – sowohl unmittelbar durch Institutionen selbst als auch mittelbar, indem sie Tätern durch unpassende Bewertungen und Entscheidungen der Fälle die Möglichkeit geben, weiterhin Gewalt ausüben zu können.
Dazu gehört einerseits die sekundäre Viktimisierung der Opfer in Familiengerichtsverfahren, andererseits gerichtlich angeordneter Umgangs- und Kontaktzwang trotz Gewalthintergrund, gerichtlich angeordnete “freiwillige” Mediationen/Kurse etc. mit dem Täter.
Letztere nutzen solche gemeinsamen Termine regelmäßig als willkommene Plattform für neuerliches gewalttätiges Verhalten gegenüber ihrer Ex-Partnerin – ob mit psychischer oder emotionaler Gewalt, oder davor/danach für Übergriffe. Bereits das erneute Aufeinandertreffen mit dem Täter kann zu einer Retraumatisierung des Opfers führen.
Zudem bleiben Mütter über das gemeinsame Sorgerecht dauerhaft an den Täter gekettet; sie sind gezwungen, bei jeder neuen Entscheidung im Verlauf der Kindheit sich erneut dem Täter auszusetzen.
Das alleinige Sorgerecht erhalten sie nur in seltenen Fällen zugesprochen.
Die Ursache: Die anhaltende Missachtung in der Praxis der bestehenden Schutzrechte für die betroffenen Frauen – verbrieft im Gewaltschutzgesetz und der Istanbul-Konvention.
“Die Analyse zeigt, dass Väter und Kinder als Rechtssubjekte wahrgenommen und die ihnen zugesprochenen Rechte benannt werden.
Vom Recht der Frau auf Gewaltschutz ist jedoch kaum die Rede, sondern eher vom „Bedürfnis der Mutter“, dem „Willen der Mutter“ oder dem „Schutz der Mutter“. Teilweise wird von einer „Rechtsposition der Mutter“ gesprochen, ohne zu benennen, worauf sich dieses Recht bezieht.
Es hat den Anschein, als würde der Gewaltschutz als eine unterschiedlich stark gewichtete begleitende Rahmenbedingung in die Erwägung einbezogen und nicht als ein der Frau zustehendes Recht, dessen Verletzung weitere Grundrechtsverletzungen nach sich ziehen und damit eine Diskriminierung der Frau darstellen kann. In einem Interview, in dem tatsächlich über das „Recht auf“ körperliche Unversehrtheit der Frau gesprochen wird, ist gleichzeitig von einer so starken Bedrohung und massiven Gefährdung ihres Lebens die Rede, als würde erst in diesem Kontext das Recht beziehungsweise die Frau als Rechtssubjekt bedeutsam.”
Eichhorn, Anja, Häusliche Gewalt und Umgang als Menschenrechtsverletzung gegen Frauen, in: Soziale Arbeit, 66 (2017) 3, S. 101.
Auch Mütter, die mit ihren Kindern vor der Trennung noch keiner eindeutigen Gewalt durch den Partner ausgesetzt waren, sondern diese z.B. erst im Zuge der Trennung erleben, sind von institutioneller Gewalt im Rahmen von familiengerichtlichen Verfahren betroffen: durch die Institutionen selbst ebenso wie durch die Auslieferung an die Täter über das Sorge- und Umgangsrecht.
Die Österreichische Justizopfer-Hilfe möchte dieses Frauen diskriminierende Problem von Gewalt im Gerichtssaal sichtbar machen, den betroffenen Müttern und ihren Kindern Raum geben, von ihren Erlebnissen (anonym) zu berichten und damit gehört zu werden.
Denn: Es sind keine Einzelfälle. Es passiert täglich in Österreich und in Deutschland.
Es ist eine anhaltende Menschenrechtsverletzung.
Wir fordern die vollständige, zügige Umsetzung und Implementierung der Istanbul-Konvention in den zZt. anstehenden Reformen.
Die bisherigen Vorschläge sind nicht ausreichend, um einen tatsächlichen Gewaltschutz für Mütter und Kinder verlässlich sicherzustellen.